Deutschland – 21. Internationales Treffen der Musikhörer

6. – 10. Aug. 2012: Haus Maria Lindenberg
St. Peter

Bericht von Katja Brudermann

Im Zentrum des Treffens standen die Betrachtungen von George Balan. Unter dem Motto „Musik und die Jahreszeiten des Lebens“ hat er Musikstücke, Interviews mit berühmten Musikern und eigene Gedanken zu einer Vortragsreihe zusammengefügt. Dass Musik in existenziellen Situationen, in den Grenzbereichen zwischen Leben und Tod, eine besondere Ausdruckskraft hat, war immer wieder spürbar. Wie die Aufführung des Balletts „La Bayadere“ am 8. Oktober 1992 in der Pariser Oper unter der Direktion von Rudolf Nurejew. Der 54jährige leitete die Inszenierung trotz seiner stark fortgeschrittenen AIDS-Erkrankung. „Er war körperlich so schwach, dass er oftmals nur mit seinem kleinen Finger andeuten konnte, wie wir tanzen sollten. Und doch spürte das ganze Tanzensemble: Es gab noch so viel, was in ihm war und, was er weitergeben wollte. Jeder einzelne von uns gab sein bestes für ihn“, erinnerte sich eine der Tänzerinnen in einem Interview. Vier Monate nach der Aufführung starb der ehemals aktive Tänzer.

Im krassen Gegensatz dazu zeigte Arthur Rubinstein noch in seinen späten Neunzigern eine Vitalität und Liebe zum Leben, die bei manch 20jährigem besser versteckt ist.

Und die Begabung des russischen Pianisten Jewgeny Kissin zeigt sich mitunter darin, dass bereits in jungen Jahren alle Höhen und Tiefen des Lebens spielend ausdrücken konnte, auch wenn er sie am eigenen Leib noch nicht erfahren hatte.

Die musikalische Reise durch die Jahreszeiten des Lebens nutzte George Balan als Rahmen, in dem er selbst sich offiziell von seiner aktiven Vortragstätigkeit zurückzog und sich in den Winter seines Lebens verabschiedete. Auf 83 eigene Lebensjahre blickt er zurück, davon 33 seit der Gründung von Musicosophia im Jahr 1979. Wie selten ist es, dass ein Mensch all das Wesentliche, was er in seinem Leben erfahren und verstanden hat, in Worten und Musikstücken zusammenfasst und vorträgt? Was George Balan den Teilnehmern der 21. Musikhörertreffens weitergegeben hat, ist mehr als Gold wert.

Er hat das Hören als Kunst verstanden und als solche entwickelt und praktiziert. Es liegt wohl in der Natur der Dinge, dass ein Meister einer solch stillen Kunst in der Öffentlichkeit weniger bekannt ist als Dirigent Leonard Bernstein oder Pianist Lang Lang, der als „Michael Jackson der Klassik“ erscheint. Mehr noch als die Worte hat mich die Begegnung mit dem Menschen George Balan beeindruckt. Er strahlt einen stillen Frieden aus, mit dem Leben, so wie es ist, mit all seinen Schönheiten und all seinen Abgründen.

Musik ist eine wunderbare Sprache, die die vollständige Bandbreite der menschlichen Gefühle sehr genau ausdrücken kann. Musik kann sich in Dramen verstricken und in Abgründe fallen, sich dem Tode nähern und vielleicht sogar einen Blick darüber hinaus erhaschen. Und sie bleibt doch schwerelos und frei. Mit scheinbarer Leichtigkeit und in wenigen Takten kann sie sich von den tiefsten Tiefen in die Höhe bewegen, Dissonanzen in Harmonien auflösen, Angst und Verzweiflung in inneren Frieden verwandeln. Diese Freiheit, die den menschlichen Worten und Gedanken nicht immer zu eigen ist, kann manchem Schicksalsschlag seinen Schrecken nehmen. Diesen Zauber habe ich in diesen Tagen in der Musik entdeckt.

Ganz ohne Blick auf die praktischen Dinge des Lebens und den Rahmen der Veranstaltung soll der Bericht dann doch nicht enden…
Das Haus Maria Lindenberg 2 km oberhalb von St. Peter bot eine wunderbare Kulisse. Auch das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite, so dass die 60 Teilnehmer die Pausen auf der Terrasse vor dem Vortragssaal in der Schwarzwaldsommersonne verbringen konnten. Dass ich dort, auf einer Bierbank mit Blick auf die von Gustav Mahler besungene wunderschöne Erde kurze Shiatsu-Massagen geben durfte, war zumindest für mich selbst eine gute Abwechslung zu all den schweren Themen des Tages, und ich hoffe, für meine Klienten auch. Neben den Vorträgen von George Balan blieb noch ein wenig Zeit fürs Hören der zum Tagungsmotto obligatorischen „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi mit Musicosophia-Methode im Schnelldurchlauf.

Highlights waren sicherlich die beiden Abendkonzerte, am Dienstag mit Mario Closca am Klavier und dem Tenor Andras Chiriluc; am Donnerstag wurde Mario Closca von seinem Bruder Lucian Closca an der Geige begleitet. Etliche Besucher aus St. Peter und Umgebung kamen an beiden Abenden als Gäste dazu und erlebten nebst wunderschöner, bunt zusammengestellter Musik auch einen ersten Einblick in die Arbeit von Musicosophia. Mit stehenden Ovationen wurden die Musiker gefeiert und um Zugabe gebeten (die es natürlich auch gab).

Auch wenn der Lindenberg seinem Namen als Berg alle Ehre macht, erschienen mir die Tage dort eher wie eine Insel, vollkommen losgelöst vom Alltag. Entsprechend war mein Weg zurück zum Schreibtisch auch eine kleine mentale Seefahrt, mit ein paar Stürmen und unterschätzten Entfernungen. Ob sich die Reise gelohnt hat (die für mich übrigens nur 5 Fahrradkilometer weit war), sei in und zwischen den geschriebenen Zeilen nachzulesen…

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